Donnerstag, 24.07.2025

Dynamische Stromtarife verständlich erklärt – so funktioniert das Preismodell

Empfohlen

redaktion
redaktionhttps://neckar-kurier.de
Ihre Nachrichtenquelle entlang des Neckars - immer aktuell, immer nah

Eine neue Tarifwelt erobert den Strommarkt. Immer mehr Versorger koppeln den Preis pro Kilowattstunde direkt an die Stundenauktionen der Strombörse – mit spürbaren Folgen für Haushalte, Netzbetrieb und Klimaschutz. Obwohl das Konzept simpel klingt, wirft es zahlreiche Fragen auf: Wie verändert sich die Rechnung, wenn der Preis viertelstündlich oder stündlich schwankt? Welche Technik macht das möglich? Und passt ein solcher Tarif wirklich zu jedem Verbrauchsprofil?

Herkunft und Funktionsweise des variablen Preismodells

Die EPEX SPOT‑Strombörse, welche historisch an die EEX in Leipzig angebunden ist, ermittelt für jede Stunde des kommenden Tages einen Marktpreis. Dieser Day‑Ahead‑Preis basiert auf dem Merit‑Order‑Prinzip, bei dem die jeweils günstigsten verfügbaren Kraftwerke zuerst zum Einsatz kommen. Dynamische Stromtarife spiegeln diese stündlichen Auktionen nahezu eins zu eins auf der Endkundenrechnung wider. Während klassische Festpreistarife statische Arbeitspreise vorgeben, ändert sich hier der Verbrauchspreis derzeit 24‑mal pro Tag – ab 30. September 2025 voraussichtlich 96‑mal, weil die Auktionen dann in 15‑Minuten‑Schritten abgerechnet werden. Damit beschreibt die Antwort auf die Frage „Was ist ein dynamischer Stromtarif?“ zugleich den Kern des Modells: Der Strompreis orientiert sich an realen Großhandelswerten und nicht an langfristig kalkulierten Durchschnittskosten. In Niedrigpreisphasen, die häufig in wind‑ oder sonnenstarken Stunden auftreten, sinken die Kosten deutlich. Sobald die Nachfrage hoch ist oder Kraftwerksleistung fehlt, steigt der Preis ebenso schnell an. Dadurch entsteht ein direkter finanzieller Anreiz, energieintensive Geräte auf günstige Zeitfenster zu verlagern.

Voraussetzung ist eine viertelstundengenaue Messung, damit der Versorger den exakten Börsenpreis jedem verbrauchten Kilowattstundensegment zuordnen kann. Die Preisbestandteile für Steuern und Umlagen bleiben unverändert. Netzentgelte bleiben grundsätzlich zeitunabhängig, werden aber für steuerbare Geräte (§ 14a EnWG) deutlich reduziert, wenn der Kunde dem Netzbetreiber zeitweilige Leistungsreduzierungen erlaubt. Dynamische Tarife entkoppeln also nur den Energieanteil; die regulierten Aufschläge bleiben stabil oder verringern sich gemäß § 14a‑Rabatt.

Vorteile und Herausforderungen gegenüber Festpreistarifen

Weil das Modell reale Marktpreise abbildet, eröffnet es spürbare Einsparpotenziale für flexible Verbraucher. Wer beispielsweise eine Wärmepumpe, einen Batteriespeicher oder eine Wallbox besitzt, kann hohe Lasten in Stunden mit niedrigen Börsenkursen legen und so seine Stromkosten senken. Gleichzeitig steigt die Transparenz: Der Endkunde sieht exakt, wie sich sein Tarif zusammensetzt, und erlebt den Strommarkt fast in Echtzeit. Auf Systemebene sorgt der Mechanismus dafür, erneuerbare Überschüsse besser auszunutzen. Wenn Windparks nachts große Mengen Strom einspeisen, locken niedrige Preise zusätzliche Nachfrage und reduzieren Überschüsse, die sonst abgeregelt würden.

Dennoch existieren Risiken. Bei knappem Angebot schnellen Börsenpreise kurzfristig in die Höhe – teils um ein Vielfaches des üblichen Tarifniveaus. Wer seinen Verbrauch nicht verschieben kann oder keine intelligente Steuerung nutzt, verliert den Kostenvorteil. Eine sorgfältige Analyse des eigenen Lastprofils, kombiniert mit automatisierten Steuerungslösungen, mindert Schwierigkeiten und macht dynamische Tarife verlässlich kalkulierbar.

Rolle von Smart Meter und digitaler Infrastruktur

Ohne intelligente Messtechnik bleibt der flexible Tarif graue Theorie. Der Gesetzgeber schreibt seit 2020 einen gestuften Smart‑Meter‑Rollout vor, der bis Ende 2030 nahezu alle Haushalte einbinden soll. Ein moderner, fernauslesbarer Zähler übermittelt Viertelstundenwerte verschlüsselt an den Messstellenbetreiber. Dieser leitet sie an den Versorger weiter, der daraufhin den stündlichen Börsenmix berechnet und in der Abrechnung darstellt. Parallel dazu gewinnt Home‑Energy‑Management an Bedeutung. Solche Systeme verknüpfen Wärmepumpe, Photovoltaikanlage, Heimspeicher oder Ladebox, berücksichtigen Wetterprognosen und stimmen die Gerätesteuerung mit den Börsenpreisen ab. Ein Algorithmus startet etwa den Heizstab des Pufferspeichers automatisch, sobald der Preis unter einen definierten Schwellenwert fällt. Dadurch sinkt nicht nur der Bezug aus teuren Spitzenstunden, sondern auch die Netzlast, weil flexible Verbraucher wie Wärmepumpen gezielt in Zeiten von erneuerbaren Erzeugungsspitzen laufen.

Zukunftsaussichten im Lichte der Energiewende und §14a EnWG

Die deutsche Stromerzeugung soll bis 2035 nahezu treibhausgasneutral sein. Damit wächst der Anteil fluktuierender Quellen wie Wind und Sonne, deren Einspeisung wetterabhängig schwankt. Klassische Festpreistarife verdecken diese Volatilität, dynamische Preise dagegen übersetzen sie in ökonomische Signale. Netzbetreiber und Regulierer sehen darin ein Instrument, um Flexibilität auf der Verbraucherseite zu heben und Netzengpässe zu reduzieren.

Gleichzeitig müssen Energielieferanten (Stromversorger) ab 1. Januar 2025 mindestens einen dynamischen Tarif für Smart‑Meter‑Kunden anbieten. Diese Kombination aus verpflichtendem Flex‑Produkt und Netzentgelt‑Rabatt könnte langfristig die Notwendigkeit kostspieliger Netzausbauprojekte mindern. Allerdings erfordert sie hohe Akzeptanz. Nur wenn Verbraucher den Mehrwert verstehen und ihre Ersparnis nachvollziehen können, etabliert sich das Modell flächendeckend. Bildungsangebote, transparente Abrechnungen und intuitive Steuersysteme spielen deshalb eine Schlüsselrolle.

Insgesamt deutet vieles darauf hin, dass dynamische Stromtarife vom Nischenprodukt zum zentralen Baustein der Energiewende avancieren – indem sie Verbrauch, Erzeugung und Netzbetrieb erstmals konsequent aufeinander abstimmen.

label

Weiterlesen

Aktuelle Nachrichten